Ein Dokument der Unmenschlichkeit
Die Wogen schlagen hoch und das aus gutem Grund: In einem Kreistags-Antrag zur weiteren finanziellen Unterstützung der Seenotrettung übt sich die CDU in der Übernahme von Narrativen, die bislang eher aus AFD-nahen Kreisen kolportiert wurden.
Um was geht es? Am Montag steht eine Entscheidung im Kreistag an, ob die Seenotrettungsorganisation Sea-Eye weiter mit öffentlichen Mitteln gefördert werden soll. Es geht um 10.000 Euro pro Jahr – was weniger ist als das Monatsgehalt eines Oberbürgermeisters einer mittelgroßen Stadt1... In Zeiten knapper Mittel ist hier eine Diskussion und Selbstversicherung über die Gründe sicher angezeigt. Gleichwohl es aus einem humanistischen Standpunkt merkwürdig erscheint, über die direkte Vermeidung von Tod tatsächlich diskutieren zu müssen. Aber der Rotstift haushälterischer Rationalität obliegt offenbar anderen ethischen Standards. Der CDU im Kreis geht es aber weniger um die Frage der Finanzierbarkeit, sondern um ein Bekenntnis.
Die CDU im Kreis hat einen Antrag eingebracht, der die weitere finanzielle Förderung der Seenotrettung an ein „belastbares“ Bekenntnis von Sea-Eye binden soll, die Geretteten an irgendwelche Küsten zu verbringen, nur nicht an die europäischen. Denn so würde ja die „Schlepperei“ unterstützt. Ungeachtet des notwendigen Schlusses, dass die CDU somit aus ihrer eigenen Sicht die letzten fünf Jahre Schlepper willentlich unterstützt hat – was dann eigentlich ein Grund für eine Selbstanzeige wäre… –, ist dies doch ein offensichtlicher Versuch, bei potenziellen AFD-Wählenden Stimmen einzusammeln. Zwar ist die These, dass Seenotrettung ein Pull Faktor sei, eine Mär, die seit langem wissenschaftlich fundiert widerlegt ist.2 "Der CDU im Kreis scheint das aber völlig egal zu sein – sie ist offenkundig in einem Wahlkampfmodus der besonderen Art", so die Kritik von Lars Hofmann, frisch gewählter Direktkandidt der Linken für die Bundestagswahl.
Jedes Jahr sterben tausende Menschen auf den gefährlichen Fluchtrouten über das Mittelmeer oder gehen vermisst: Im wieder hört man in den Nachrichten von überfüllten Booten, die kentern;3 von Frontex, das illegal Menschen zurückweist;4von der griechischen Marine, die auf Flüchtlingsboote schießt.5 Weder von der alten noch von der neuen EU-Kommission sind hier Lösungen zu erwarten. Die Antwort der Festung Europa war und ist die Abschottung: Zäune, Polizei, Kooperation mit der sogenannten libyschen Küstenwache. Anstatt legale Wege zu eröffnen oder endlich solidarische, EU-weite Verteilmechanismen zu etablieren, übt sich die Europäische Union in Abschreckung. Nur führt diese Politik weder zu sinkenden Flüchtlingszahlen noch zu weniger Toten. Denn solange es keine legalen Fluchtwege gibt, werden Menschen, die vor Leid, Elend und Verfolgung fliehen, auch die tödlichen Gefahren des Seewegs in Kauf nehmen.6
In der CDU-Vorlage wird beständig von der „privaten“ Seenotrettung geredet, ohne auch nur im Mindesten einzugestehen, dass es keine staatliche gibt. Diese „private“ Seenotrettung gibt es jedoch nicht aus Spaß an der Sache, sondern weil es manche Menschen als nicht hinnehmbar empfanden, andere im Mittelmeer ertrinken zu sehen und nichts dagegen zu tun. Die Rettung auf See ist ganz einfach ein humanitäres Prinzip und eine Verpflichtung nach dem Völkerrecht.7 Eigentlich wäre es eine staatliche Aufgabe, und wir können den engagierten Seenotretter:innen eigentlich nur für ihre so notwendige Hilfe danken. Nicht so die Kreis-CDU: Sie stellt Bedingungen. Doch auch sie muss das Völkerrecht achten, und hier gilt der Grundsatz der Nichtzurückweisung.8 In anderen Worten fordert der Antrag von den Seenotretter:innen den Bruch des Völkerrechts.
Ganz offensichtlich wird das rechtspopulistische Fahrwasser, wenn von der „Rückführung“ an die „afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste“ geredet wird. Zum einen scheint dies einer Forderung nach Push-Backs, die laut der Genfer Flüchtlingskonvention verboten sind,9mindestens zum Verwechseln ähnlich. Denn es ist eine rechtliche Prüfung notwendig, ob den Menschen in ihren Herkunftsländern nicht Verfolgung droht. Wahllos Flüchtende nach „Afrika“ zu verbringen, ist ein offenkundiger Bruch dieses Prinzips. Und was überhaupt meint dieses „Afrika“ wenn nicht ein verbrämtes Nicht-Benennen von Libyen, dessen Menschenrechtslage jede Abschiebung allein aufgrund eines humanitären Grundminimums verbietet.10
Oder „bzw. gegebenenfalls“ die Türkei? Einerseits ist offen, ob die Kreis-CDU die Türkei schon über ihre Pläne informiert hat. Andererseits wird hier doch die blanke Willkür im Umgang mit diesen Menschen deutlich: Es ist uns egal, wohin und was euch dort erwartet, nur nicht zu uns. Welche Grundlage gibt es, Menschen einfach in die Türkei abzuschieben? Und warum sollten das „private“ Seenotretter:innen machen?
Die CDU im Kreis wagt den Schritt, der AFD Stimmen abzuluchsen, indem man sich einfach selbst ihren Themen und ihres Vokabulars bedient. Das hat zwar noch nie funktioniert, aber warum sich darum scheren…. Die Gefahr, eine Brandmauer einzureißen, besteht ja auch nicht mehr, wenn man schon auf der anderen Seite ist. Warum unsere Polemik? Einfach weil uns der Antrag der CDU im Kreis fassungslos macht. Auf dem Rücken flüchtender Menschen zu versuchen, sich der AFD anzunähern, ist schlicht schäbig. Und wenn der Antrag nicht strategisch, sondern aus fester Überzeugung gestellt ist – umso schlimmer.
Als Linke – und als Menschen – widersprechen wir dem Antrag der Kreis-CDU: Seinem Geist, seiner Absicht und seiner Wortwahl.
1www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/konstanz/10-fakten-rund-um-das-amt-des-oberbuergermeisters-von-konstanz;art372448,10640750
2www.dezim-institut.de/presse/presse-detail/kein-pull-effekt-durch-seenotrettung/
3www.tagesschau.de/investigativ/ndr/griechenland-schiff-fluechtlinge-100.html
4www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/frontex-pushbacks-eu-griechenland-100.html
5www.n-tv.de/der_tag/Griechische-Kuestenwache-schiesst-auf-Syrer-article15325176.html
6So auch Filippo Grandi, der Hohe Flüchtlingskomisar der Vereinten Nationen: „Maßnahmen zu ergreifen, um die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die in Europa ankommen, zu reduzieren, ohne gleichzeitig Frieden, Entwicklung und sichere Wege zu verstärken, ist moralisch inakzeptabel.“ Quelle: www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer
7www.uno-fluechtlingshilfe.de/hilfe-weltweit/mittelmeer
8de.wikipedia.org/wiki/Grundsatz_der_Nichtzur%C3%BCckweisung
9www.proasyl.de/wp-content/uploads/2013/11/Summary_Faelle_Deutsch_Pushed_Back.pdf