In loser Abfolge wollen wir auf dieser Seite Stimmen einen Raum geben, die zum Gespräch anregen sollen. Nicht alles müssen wir als Partei dabei richtig finden, wichtig ist aber, einander zuzuhören und um eine bessere Welt und die Wege dahin zu streiten.
Wenn ihr gerne etwas beitragen wollt, meldet euch bei uns.
Vom Siechtum der Linken
Von Vampirschlössern und der Suche nach der Hoffnung
Wie alle Menschen tauschen sich Linke in sozialen Netzwerken aus. Trotz ihrer prinzipiellen Offenheit sind diese Kommunikationsforen aber zu einem Ort der gegenseitigen Polarisierung, Dämonisierung und Schikanierung verkommen. Mark Fisher befasste sich in einem Essay, der bereits vor zehn Jahren erschien, mit den Ursachen und Auswirkungen dieser Dynamik, die bis heute wirksam ist. Am Ende seiner kritischen Analyse steht ein Plädoyer für empathische, solidarische Formen des Austauschs.
Politische Diskurse werden immer häufiger in den sozialen Medien geführt, deren niedrige Schwellen den offenen und ebenbürtigen Austausch durchaus fördern: Anders als bei persönlichen Gesprächen sind weder zeitliche Absprachen nötig noch räumliche Distanzen zu überwinden. Und im Unterschied zu anderen Medien können alle Teilnehmenden zugleich als Zuhörende und als Sprechende fungieren, sich mit ihren Ansichten einbringen und für ihre Sache streiten. Folglich haben sich die exkludierenden Zugangsbeschränkungen und die klassischen normativen Kriterien für die Positionen von „Sendern“ im öffentlichen Raum zumindest an diesem Ort aufgelöst. Auf der Negativseite ist die fehlende Normierung zu nennen, die hier auch mitunter die basalsten Regeln des Anstands im mitmenschlichen Umgang anbetrifft. Auch durch die Bevorzugung polarisierender, teils hetzender Beiträge durch die Algorithmen der entsprechenden Seiten wird diese negative Tendenz bestärkt. Letztlich zeitigt auch die Anonymität in diesen Foren negative Effekte, hebt diese doch jede Verbindung und Verbindlichkeit zwischen den Menschen und Diskutanten auf: Würden wir einander privat kennen und uns begegnen können, fiele das Pöbeln, Polemisieren und für uns konsequenzlose Abkanzeln mitunter schwerer. Jedenfalls haben sich die sozialen Medien und die dazugehörigen Kommentarspalten zu einem ebenso berühmten wie berüchtigten Stammtisch entwickelt. Der Ort des Stammtischs selbst steht dabei unentschieden zwischen einer Chiffre für eine archaische, vorurteilsbehaftete Partikularöffentlichkeit und einem Ideal der authentischen, barrierearmen Ventilation einer Volksmeinung. Letztlich ist dieser Ort wohl immer beides.
Vor der Erfahrung mag mensch annehmen, gerade das Fehlen von Hierarchien und die Allgemeinheit der Zugänglichkeit würden die digitalen Foren zu einem Elysium linker Debatten machen, in der aktuelle Fragen und politische Abwägungen ebenso diskutiert werden wie der lange Zeit vernachlässigte Theoriediskurs seine fröhliche Wiedergeburt feiert. Nach der Erfahrung ergibt sich ein anderes Bild: Auch im linken Spektrum sind konstruktive Diskursformen eher eine Randerscheinung. Der Austausch nimmt sich weniger als Debatte diverser Ideen denn als Multiplikator von Vorwürfen verschiedenster -ismen aus. In einem trotz seines Alters von zehn Jahren noch immer aktuellen Essays befasste sich der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher mit diesen diskursiven Strukturen und Manifestationen in den sozialen Medien, deren inhärente Logik er kurz mit dem titelgebenden Wort als Vampirschloss umschrieb. Was sind nun das Wesen und die Mechanismen dieses Schlosses?
Ein Klima anderer Art
Fisher markiert mit diesem Begriff zunächst eine bestimmtes Atmosphäre linker Diskurse, die sich nach ihm als eine polarisierende und dämonisierende Dynamik beschreiben lässt und die weniger zum Austausch denn zu gegenseitigen Vorwürfen anregt. Das Klima des Vampirschlosses resultiert nicht aus konkreten Inhalten, sondern aus formalen Bedingungen und festen normativen Prinzipien: Eine hohe Sensibilität für sprachliche Regelungen und ein Set kultureller Normen verbinden sich mit radikalen Mitteln der Exklusion respektive der Exkommunikation aus den Diskursen. Kurz: Die linken Diskurse nehmen sich in der Lesart Fishers weniger als Debatten über politische Fragen denn als Hexenjagden aus, in denen eine missliebige Meinung als Anderes markiert und den Sprechenden aus dem Kreis der Linken und dem Diskurs ausschließt. Genau diesem Phänomen einer Logik der polarisierenden Dichotomie in Wahr/Falsch und Gut/Böse und ihren Folgen für eine Debattenkultur ist Fisher auf der Spur.
Wichtig ist, dass nicht nur ein materieller Meinungskorridor des Sagbaren besteht, sondern auch formaler: Es ist also nicht unerheblich, was die Sprechenden äußern, sondern auch, wie. Fisher lässt sich hier gut an die Klassismus-Diskussion anschließen: Die Hegemonie akademisch-gebildeter Akteure führt zu einer Norm sprachlicher Perfektion und Reinheit. Als Beispiel sei auf die Regeln des Genderns verwiesen: Können sich Personen höherer Bildung leichter auf Veränderungen der Sprachregeln einlassen, fehlen vielen Menschen niedrigerer Bildung trotz guten Willens schlicht die Ressourcen, die allein dafür notwendig sind, am Puls des Diskurses über momentan geltenden Regeln informiert zu bleiben. Auch wenn sich Personen uns also gerne auf die Verbesserung der Sprache einlassen wollen, gibt es strukturelle Barrieren die von Bildungsgraden bishin zu verfügbaren Zeitkontingenten reichen. Und weil die Foren eben kein solidarischer, empathischer Raum sind, werden sprachliche Verfehlungen mit Vorwürfen und Einkategorisierungen in -ism begegnet. Die selbe Logik gilt für anstößige Meinungen, Ansichten und selbst dumme Witze.
Gewiss sind Ausschlüsse nur die Extremformen, aber die Kommentarspalten unter Beiträgen quellen manchenteils über vor Vorwürfen und Abwertungen, die den Beteiligten offen die Zugehörigkeit zum linken Spektrum absprechen. Sozialpolitischen Rekursen wird vorgeworfen, nach rechts Außen anschlussfähig zu sein, ökologischen Beiträgen, sie wären einzig eine Verlängerung einer neo-liberalen Agenda. Die Mauern der Abgrenzung und der Diskreditierung werden schnell hochgezogen. Zugleich ist es von Relevanz, wer spricht, darf doch nicht jede Person über alles und alle eine Meinung haben. So treten wiederum exklusive Zugänge auf, die zugleich die anderen Sprechenden ausschließen und Beiträge als unangemessen aburteilen. Hannah Arnedt sähe diese Entwicklung der Öffentlichkeit mit Sorge.
Fisher verweist auf ein Moment eine Essentialisierung, das die diskursive Mechanik der Radikalisierung offenlegt: Das Plädoyer für den Schutz heimischer Arbeiter:innen vor migrantischen Billiglöhnern ist ein evidentes Beispiel für das gegenseitige Missverstehen. Anstatt sich über die Problematik kapitalistischer Strukturen und die verschiedenen Blickwinkel auf das globale Ausbeutungsregime, die komplexen Beziehungen der Konkurrenz und deren negative Auswirkungen auf die Solidarität auszutauschen, reduzieren sich die Debatten auf gegenseitige Vorwürfe, die von xenophoben Rassismus bis zu naivem Gutmenschentum reichen. Es ist an dieser Stelle egal, wer recht hat: Das Problem ist, dass die beiden Seiten nicht miteinander sprechen können. Zugleich: Die Makel von Sprechenden, ihre Defizite und Vorurteile werden nicht zum Anlass der gegenseitigen Aufklärung, sondern zum Kriterium der Exkommunikation. Dem kantischem Bild des Menschen als jenes krumme Holz steht hier eine essentialisierende, verabsolutierende Logik entgegen, die die Imperfektion und Fehlbarkeit nicht aushält. Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle mit Vorurteilen verschiedener Arten beladen sind, dann können wir diese Ansichten in linken Diskursen nicht korrigieren, weil ihre Äußerung notwendig unsere Exklusion zur Folge hat. Die diskursive Logik führt demgemäß zu einer Separierung und gegenseitigen Abgrenzung und konterkariert simultan den kommunikativen Austausch wie solidarische Bezüge.
Die Negativität als Struktur
Fisher nahm für sein Essay einen Shit-Storm zu Anlass, der ihn dem eigenen Bekunden nach aus der eingeübten Lethargie und Passivität riss. Nach ihm zeitigte sich in den Angriffen eine Distanz zum Klassenkampf und seinen Trägern just von der sozialmedialen Avantgarde, letztlich also ein Klassismus. Ohne hier trennen zu wollen, ist es doch ein evidentes Problem, wenn die linken Spektren der akademischen Sphäre und der Arbeiterinnen derart divergieren, das ihnen jeder kommunikative, politische und ideologische Kitt abhanden gekommen ist. Es darf uns nicht darum gehen, wer angefangen hat, sondern darum, dies als Problem zu erkennen und zu analysieren, um dann Antworten zu finden.
Fisher sieht diese Anlage der Diskurse als eine Erklärung für die Paralyse linker Bewegungen in seiner und auch in unserer Gegenwart. Ohne ein kommunikatives Fundament keine Einheitsfront, so die einfache Rechnung. Eine zweite Ursache der Erstarrung ist die Moralisierung und die Verteilung von Schuld: Wie wiederum an der Debatte um Privilegien und dem Klassismus ersichtlich, sind die linke Diskurse negative Abwehrkämpfe, denen ein positiver Nexus im Sinne einer Vision fehlt. Der Klassismus klagt die bürgerliche Elite an, ohne aber zu gleich der Arbeiterschaft ein positives Bild seiner selbst, eine kollektive Identität, überhaupt nur vermitteln zu wollen. Diese Passivität steht in einer unheiligen Allianz mit der Verteilung von Schuldigkeit und Verantwortung für Missstände. Linke stehen für keine diesseitigen Ziele, sondern vor der Aufgabe, ihre Schuld an der Gegenwart öffentlich zu bekunden.
Mit dem Vampirschloss beschreibt Fisher in psychoanalystischer Nomenklatur lacanscher Provenienz die Verteilung von Schuld als priesterliches Begehren zu exkommunizieren und zu verdammen, als akademisches Begehren Fehler und Widersprüche aufzudecken und als Begehren des Hipsters, dazuzugehören. Diese Motive werden nach Außen mit dem Kampf gegen -ism verteidigt, wobei die Kritik an den Begehren als implizite Affirmation der -ism konterkariert wird. Das Vamprirische ist dabei, dass sich das Schloss an den sozialen Kämpfen entgegen der -ism nährt, also seine Energien, seine mediale Prominenz und gesellschaftliche Autorität aus diesen speist, selbst eine bürgerlich-liberale Perversion dieser Kämpfe ist. Eine produktive Einsicht Fisher ist dabei jene, dass sich das Schloss darin zeige, dass die Kämpfe nicht mehr darum gehen, dass Kategorien der Identität irrelevant werden, sondern dass es gerade darum geht, Identitäten zu haben und derart von einem bourgeois big Otherwahrgenommen zu werden. Die kapitalistische Individualisierungslogik hat sich demnach tief in unsere politischen Kämpfe gefressen. Auch wenn über die Partikularisierung linker Bewegungen und Protestformen mehr Worte nötig wären, ist dies zumindest ein instruktiver Anfang.
Fisher geht im Weiteren der Frage nach, wie es das Schloss schafft, Menschen in sich zu locken: Er sieht dies durch normative Auszeichnung und spezifischen In- und Exklusionsmechanismen, die wir hier nicht ausführen müssen. Eine Folge für die linken Diskurse ist, dass Klasse als Bedrohung für die andern Kämpfe (race and gender) erscheint. Wiederum an den Verschiebungen innerhalb der Privilegiendiskurse ist ersichtlich, wie Klasse als integrales Moment im Ursprung des Konzeptes immer mehr an Einfluss verliert. Dies scheint Fisher mit der bürgerlichen Pervertierung und dem Entzug von Energie zu meinen.
Die fünf Gesetze
Verhandeln wir die fünf Gesetzes des Vampirschlosses in aller Kürze: 1. Individualisiere und privatisiere alles. Es geht nicht um ursächliche Strukturen, in denen die Menschen stehen und auf die sie reagieren, sondern um die Schuld von Individuen. Wenn wir zum Beispiel die Ursache xenophober Abwehrängste auch in prekären Beschäftigungsverhältnissen und der Logik kapitalistischer Ausbeutung ausmachen, entschuldigen wir Rassisten. 2. Lass Denken und Handeln sehr, sehr kompliziert erscheinen. Weder Leichtigkeit noch Humor haben einen Platz im linken Selbstverständnis. 3. Verteile so viel Schuld wie möglich. 4. Essentialisiere! Polarisiere zwischen Gut und Böse und hypostasiere jede defizitäre Handlung oder Meinung zum substanziellen Kern der Person. 5. Denke wie ein Liberaler (der du bist).
Die zweite libidinöse Formation ist nach Fisher der Neo-Anarchismus, der aber keine Verbindung zum klassischen Konzept hat, sondern eher auf die Selbstbeschreibungen kleinbürgerlicher Akademiker und Intellektueller abstellt. Fisher geht es hierbei um das Phänomen eines folgenlosen Protestes, der sich zwar in Kritik übt, aber keine Möglichkeiten der Veränderung anbietet. Dies lässt sich als jener Fatalismus charakterisieren, der unfähig ist, eine neue Welt zu denken, sondern sich in oberflächlichen Reformen des Bestehenden genügt. Kritik wird zum Selbstzweck, einem konformistischen Spektakel.
Aus- und Ansichten
Zum Abschluss stellt Fisher die Frage: „Was tun?“ Zum einen sollten wir erkennen, wie die Formationen linke Diskurse verstellen und die Kämpfe unterminieren. Eine kollektives Bewusstsein wird durch die polarisierende Logik hintertrieben. Die Kanäle des Social Media nehmen sich demgemäß in der Gegenwart als Hemmnisse in der Genese eines Klassenbewusstseins und der Kommunikation und Aktion des Klassenkampfes aus. Wir müssten Strategien des Umgangs mit diesen Medien finden, Wege und Räume ab von den pervertierenden Strukturen.
Zentral sei, auf die Identitätspolitiken zu verzichten und zu akzeptieren, dass es keine Identitäten gibt, sondern nur Begehren, Interessen und Identifikationen. Einerseits seien alle Objektivierungen von Identität zugunsten fluider, plastischer und provisorischer Artikulationen aufzugeben. Andererseits müsse die Diskursformation und -logik hinterfragt werden, dient diese im Moment doch eher der Aufrechterhaltung einer elitären Überlegenheit und einer bürgerlichen Hegemonie. In beiden Hinsichten sieht Fisher die Wiederaneignung der Klasse als zielführend an: Die Überwindung der Klassenstrukturen als Ursache der Ausbeutung könne als übergeordnetes, verbindendes Ziel dienen. Der Kampf müsse um die Vision einer neuen Welt geführt werden.
Das derzeitige Bild der Linken, nicht nur der Partei, vor Augen, wird die Notwendigkeit klar, die Probleme zu analysieren und Auswege aufzuzeigen. Ein Ansatz ist jener Fishers. Fangen wir mit dem Problematischen an: Der Versuch, die Identitätspolitik über die Prekarität der Identitätskonstruktionen zu beruhigen, erscheint doch etwas zu kurz gegriffen. In der Lebenswirklichkeit der Gegenwart und der Erfahrung sind Identitäten nicht einfach Konstrukte, die auch einfach anders sein können – privat nenne ich dies den sozialkonstruktivistichen Fehlschluss. Zielführender erscheint es, die kapitalistischen Strategien und Imperative der Überformung der Identifizierungen offenzulegen. Daneben betreibt Fisher selbst eine gewisse exkludierende Hexenjagd, die er der Gegenseitige vorwarf, indem er pseudolinke Diskursteilnehmende markiert, die in seinen Augen Parteigänger des Kleinbürgertums sind und zugleich in den sozialen Foren eine toxische, zersetzende Wirkung haben.. Indem er die (klein-)bürgerlichen Träger im Bereich der neuen Medien nicht nur kritisiert, sondern als eigentlich Andere, die unsere Diskurse und Ziele pervertieren, stigmatisiert, wendet er selbst Prinzipien der inneren, homogenen Reinheit an. Das Problem fängt allerdings schon an, wenn wir überhaupt fragen, was, wer und wie mensch links ist. Die Frage selbst und ihre zersetzenden Folgen lähmen jede Bewegung. Auch wenn es gewiss eine alte Tradition jedweden Links ist, tut eine weitere Spaltung gerade wenig Not.
Letztlich scheint es der Linken nicht an Spannungen zu mangeln, sondern an einer Vision und einem positiven Selbstbild. Gerade in diesen Zeiten wird deutlich, wie notwendig die Idee einer anderen Ordnung als jene des Bestehenden wäre. Neben dem Ansprechen des Elends, wie es jüngst an den Quoten der Kinderarmut zu Tage trat, und den Verfehlungen der Politik, bedarf es doch einer Botschaft der Hoffnung, einer lebenswerten Zukunft. Wann, wenn nicht in diesen Tagen, könnten klar gezeigt werden, dass der Kapitalismus in all seinen Schattierungen Mensch und Natur zugrunde richtet und die einzige Antwort sein kann, ihn zu überwinden? Und dieses Kommende darf keine hohle Absetzung von der Gegenwart sein, sondern die greifbare Vision einer autonomen Gesellschaft (Castoriadis). Jede Skizze ist aber wertlos ohne ein tragendes Bewusstsein der Klasse, ohne die Einsicht, dass die Befreiung der Arbeiterschaft nur ein Werk der Arbeiterschaft selbst sein kann. Hierfür wiederum ist es geboten zu verstehen, was ist. Das Vampirschloss zu verlassen wäre ein Anfang.
Am Ende ist es unsere Wahl: Sozialismus oder Barbarei.
____________________
www.opendemocracy.net/en/opendemocracyuk/exiting-vampire-castle/
Zurück in die Vergangenheit
Das Bürgergeld wird endgültig Hartz V
Die vollmundigen Versprechen der Sozialdemokraten und vor allem der Grünen, mit den menschenverachtenden System von Hartz IV zu brechen, sind offensichtlich vollends verpufft. Waren schon die Verbesserungen des Bürgergelds zu seinem Vorläufer in den Verhandlungen der Koalition marginalisiert wurden, sind durch die jüngsten Einschränkungen fast alle progressiven Elemente gestrichen worden. Der Staat packt seine Peitsche wieder aus.
Die Versprechungen klangen vernünftig: Endlich weg mit Hartz IV, seinen Sanktionen und seinem einseitigen Fordern. Auch das Schonvermögen sollte den Betroffenen zumindest für ein Jahr belassen werden – immerhin ein Aufschub dieser unwürdigen Praxis. Menschen, die Arbeit suchen, sollten durch sinnvolle Maßnahmen unterstützt werden, je nach ihren Biographien, Situationen und Bedürfnissen. Bereits das beschlossen Bürgergeld verschob den Schwerpunkt wieder in Richtung einer Verlängerung des Status Quo, wurden doch Sanktionen etc. nur leicht entschärft, wodurch das System Hartz IV grundsätzlich erhalten blieb.
Zuletzt nahm das populistische Zerrbild der sozialen Hängematte wieder an Fahrt auf: Gleichzeitig mit steigenden Lebenserhaltungskosten, teurem Sprit, teurem Heizen, teurem Strom, teurem Essen, auf das die Politik keine Antwort finden konnte oder wollte, wurde medial und Seitens allzu vieler Politiker:innen suggeriert, Empfänger:innen von Bürgergeld würden den Staat ausnehmen und auf Kosten auf der Gemeinschaft leben. Die geplante und höchstrichterlich gebotene Steigerung des Satzes wurde zum Beispiel in Prozenten angegeben, und im Angesicht des Nasenwassers Bürgergeld sind 50 Euro wahrlich eine hohe Prozentzahl. Tatsache ist aber, und eigentlich für jeden und jede ersichtlich, dass sich die Preise im letzten Jahr massiv erhöht haben. Aber um Fakten geht es nicht, sondern um das Befeuern der Abstiegsängste, um das Spiel mit der Verunsicherung und der Missgunst. So sollen wir vergessen, dass die Reichen immer reicher werden, sich Politiker:innen die Taschen voll stopfen und das Steuergeld eimerweise zum Fenster hinaus werfen. Nein, nicht das Bürgergeld ist das Problem, sondern dies unser Steuersystem und der Unwille der staatlichen Akteure.
Wider der Vernunft
Trotz eindeutiger Empfehlungen von Sachverständigen und schon gemachter Lehren in der Vergangenheit glaubt die Zukunftskoalition nunmehr wieder, mit Druck, Schikanen und Sanktionen ließen sich Menschen in Arbeit bringen bzw. zwingen: Es lässt sich fragen, wie viele Studien es eigentlich braucht, um Politiker:innen von Unsinn abzuhalten. Die beständigen Hinweise des Paritätischen und anderer Organisationen bishin zur Wissenschaft haben es aber nicht vermocht, den Rückfall in alte Muster zu verhindern. All die Slogans aus dem Wahlkampf, mit denen die Sozialdemokraten und die Grünen das Hartz IV System anprangerten und auf die Defizite hinwiesen sind nun anscheinend weggewischt, obgleich sich an der Faktenlage nichts geändert hat.
Wieder gibt es Sanktionen und Abzüge des Existenzminimums – Karlsruher Entscheidungen hin oder her. Wieder gibt es Einschränkungen beim Schonvermögen – und die Lehren aus der Corona-Zeit ignoriert, in der auch die breite Mitte merkte, wie inhuman diese Praxis ist. Wieder sind es die SPD und die Grünen, diesmal gemeinsam mit der FDP, die ein Disziplinarregime errichten, mit mehr oder weniger großen Bauchschmerzen. Nein, es werden so nicht mehr Menschen motiviert, nichts wird so besser. Neu ist allenfalls die Ausdehnung der möglichen Pendlerzeit. Ein Mensch, der in Singen lebt, muss sich nun auch auf Stellen in Horb bewerben – zumindest wenn wir die Fahrtzeiten nehmen. Falls nicht, gibt es empfindliche Einschnitte. Sind das die politischen Veränderungen, für die die Grünen und SPD gewählt wurden? Medizinische Studien geben an, dass Arbeitswege über einer Dreiviertelstunde schädlich für die Gesundheit sind: Die Kühnerts, Scholzes mögen noch so oft sie wollen darauf hinweisen, dass dies Pendler schon machen, besser wird daran nichts. Wie viele unbezahlte Überstunden gibt es in diesem Land? Eben. Und daraus eine Norm zu machen, ist für eine sozialdemokratische Regierung traurig, obwohl wir ja Kummer gewohnt sind.
Das Treten nach unten
Warum diese Maßnahmen gerade jetzt kommen, weiß eigentlich niemand: Haben wir gerade explodierende Arbeitslosenzahlen? Gibt es irgendeine signifikante Entwicklung auf dem Felde der Langzeitarbeitslosigkeit? Gibt es Beschwerden über messbare Auswirkungen des Bürgergeldes? Nichts von alldem ist passiert. Der einzige Anlass zu dieser massiven Verschärfung ist der allgemeine Rechtsruck unserer Gesellschaft, der Politik und der Medien. Und natürlich die ukrainischen Kriegsflüchtlinge, bei denen sich die Regierung anscheinend noch nicht gewiss ist, ob sie diese lieber direkt auf der Kriegsfeld schicken soll oder als Billiglöhner der deutschen Wirtschaft schenken will. Beides steht einer humanen Politik entgegen.
Dies alles fällt leider auf fruchtbaren Boden: Die Chimäre der Meritokratie, also dass sich Leistung in unserer Gesellschaft lohne und als Grundlage der Über- und Ordnung zu dienen habe, ist im Wertesystem auch der untersten Schichten angekommen. Die Menschen glauben, Bürgergeldempfänger würden ihnen etwas wegnehmen und sich eine schöne Zeit machen. Die zersetzende Kraft der sozialen Hängemattenrhetorik für alle Solidarsysteme ist katastrophal. Aber anstatt sich für Umverteilung, gerechte Steuersysteme und ein Bürgergeld auszusprechen, das seinen Namen verdient, werden wieder die Schwächsten angegriffen.
Um einfach zu formulieren: All eure Leistung wird sich niemals lohnen! Wenn ihr arm seid, bleibt ihr arm. Reichtum wird nur in Ausnahmefällen erarbeitet, sondern zumeist einfach vererbt. Leistungslos. Um die Menschen von diesen simplen wie offensichtlichen Tatsachen abzulenken arbeitet sich die Politik und die Medien an Bürgergeldempfängern ab. Allein die Gegenüberstellung erwarteter Einnahmen einer Bekämpfung der Schwarzarbeit bei Leistungsbeziehern und der Steuervermeidung der reichen und reichsten Personen macht das Missverhältnis deutlich.
Die Hoffnung, den Rechten damit den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist ebenso naiv wie dumm. Wir als LINKE stellen uns dem Rechtsruck entgegen und fordern die Regierung auf, endlich zur Vernunft zu kommen und auf die Verschärfungen zu verzichten. Arbeitssuchenden Menschen ist mehr mit hilfreichen Angeboten wie Ausbildungsmaßnahem geholfen. Im sich nun ankündigendem Wahlkampf werden wir die Grünen und Sozialdemokraten an diese Entscheidung erinnern.
Sorry, aber ich werde bestimmt nicht für die NATO sterben!
Diesem Satz, ein Zitat El Hotzos auf Twitter, muss eigentlich nichts hinzugefügt werden. Zumindest bis vor Kurzem schien es ein Grundkonsens der deutschen Bevölkerung zu sein, dem Militarismus mit Skepsis zu begegnen und der Bundeswehr eher mit Umschreibungen wie „Gurkentruppe“ als mit irgendeiner Form von Ehrerbietung oder Huldigung zu begegnen. Dies scheint sich gerade zu ändern.
Nach der Wende und dem Sieg des Westens wurde die sogenannte Landesverteidigung immer unsinniger als Rechtfertigung, junge Männer im Dienst an der Waffe auszubilden. Nun, und falls die Gerüchte stimmen, nahm sich der Grundwehrdienst schon immer eher als ein großes Reiben einer spätpubertären Bevölkerungsschicht mit einem mehr oder weniger seriösen Disziplinarregime aus. So war es kein Wunder, dass die Wehrpflicht durch eine konservative Regierung ausgesetzt werden konnte, ohne dass es viel Aufsehen erregt oder sich das Sicherheitsemfinden auch konservativer Bevölkerungsteile maßgeblich verändert hätten.
Seit der Zeitenwende soll sich aber etwas im Geiste der Nation getan haben und die „Truppe“ wieder als Schutzwall gegen äußere feindliche Kräfte installiert und gepriesen werden. Die Doppeldeutigkeit des „soll“ ist hierbei wichtig: Einerseits ist es in der jüngeren Geschichte dieses Deutschlands beispiellos, mit welcher Präsenz dem neuen Militarismus in den deutschen Medien Tür und Tor geöffnet wird - die Menge an positiven Artikeln auch in der hiesigen Lokalzeitung explodierte förmlich. Kritik oder eine Reflexion langfristiger Konsequenzen kommen hier nicht mehr vor. Der einzige Zweck ist das Sekundieren der Ziele militaristischer Politik und die Diskussion, was der bessere Weg zu der viel beschworenen Wehrfähigkeit sein sollen. Demgegenüber steht das andere Sollen mit einem Moment der Irritation: Trotz der Bedrohung durch äußere Feinde (angefangen bei Russland über China bishin zum Iran) finden sich immer weniger junge Menschen bereit, zu „dienen“. Die mediale Überzeugungsarbeit funktioniert also noch nicht. In der Folge gibt es eine Personalnot, die keine Werbekampagne und keine Versprechen langfristiger Perspektiven oder sozialökonomischer Besserstellungen hat verbessern können. Was hierfür verantwortlich ist, das Image der Gurkentruppigkeit oder die Abneigung gegenüber dem Camouflage, ist ungeklärt.
Aber die Politik kann nicht mehr warten, es ist ja bald Wahl: Um den Konservativen ein Thema zu nehmen und ein weiteres Narrativ populistischer Diskurse alsbald umzusetzen, gibt der Verteidigungsminister alles, die Wehrpflicht bzw. eine abgeschwächte Variante dessen wieder einzuführen. Anders als Pistorius es wohl wollte, trägt der Plan wenig Züge einer Verpflichtung sondern jene einer robusten Informationspraxis und Betonung des good will der Angesprochenen. Zunächst sollen Briefe an alle Geschlechter versandt werden, die aufklären: Also über den Ruhm des deutschen Militärs und der Brunnenbohrer von Kundus und vermutlich weniger über die afghanische Gegenwart und die Hochzeitsbomben"unfälle"... Anders als die Rezeption des Briefes ist die Beantwortung und Rücksendung eines Fragebogens verpflichtend, zumindest für Männer. Aus diesen Antworten werden dann jene ausgewählt, die zur Musterung eingeladen werden, und aus denen dann wiederum die „Besten“ bestimmt. Alles neben dem Fragebogen ist freiwillig. Der Ampel zu hart, der CDU zu weich, so lässt sich die Einschätzung zusammenfassen. Der Unterschied zum Status Quo ist also ein Brief und ein Fragebogen: Ob es dies nun wahrscheinlicher macht, dass sich junge Menschen überzeugen lassen, dem Militär beizutreten, darf fraglich bleiben. Zumindest scheint der Doppelwumms für keine andersartigen Verbesserungen administrativer oder materieller Art gesorgt zu haben.
Sollte der Plan also umgesetzt werden, finden wir in ein paar Jahren heraus, dass sich nichts geändert hat. Die gegenwärtig absehbare Regierungskonstellation könnte dann hier ansetzen und tatsächlich die Wehrpflicht wiedereinführen.
Mediale Vermittlung
Medien sind ja nur zum Teil neutrale Objektivierungen der Wirklichkeit, sondern auch Wunschmaschinen der hegemonialen Ordnung. Was uns die Medien vom Krieg zeigen, sind stolze, hoffnungsfrohe Ukrainer, die ihr Land mit Zuversicht und deutschen Waffen verteidigen. Die andere Seite des Krieges findet hier keinen Platz. Es verwunderte eigentlich nicht, dass manche Politiker aus der Oscarprämierung der Verfilmung des Romans „Im Westen nichts Neues.“ einen Zuspruch für den ukrainischen Freiheitskampfs herauslesen konnten. Mutter Courage lässt grüßen. Wenig kann dieses Werk gründlicher missverstehen. Nicht nur ist es die Eigenart des Krieges, dass sich jede Partei im Recht wähnt, auch seine innere Dynamik führt zu mehr und mehr Unmenschlichkeit und Haß. Spannend wird der Umgang mit den ukrainischen Kriegsdienstverweigeren werden: Da es der Ukraine zunehmend an wehrfähigen Menschen ermangelt, hat sie bereits den Druck auf die Geflohenen erhöht. Die Frage ist, ob sich dieses Deutschland zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung bekennt, oder ob es die Menschen dem Fleischwolf preisgibt.
Dem vermeintlichen Heros des ukrainischen Freiheitskampfs stehen die Bilder der nach eigenen Angaben moralischsten Armee der Welt gegenüber, die eigentlich schaffen sollten, jeden Respekt vor Menschen in Uniform zu verlieren. Nein, dies ist weder ein gerechter Krieg und die Beteiligten sind keine Helden, die Menschen schützen oder Länder verteidigen, sondern schlicht und einfach Schlächter. Berge von Leichen, zerfetzte Kinder, ausblutende Menschen und erschossene Retter:innen: All diese Bilder könnten wir alle sehen, wenn wir nur wollten. Zugleich posieren Soldaten vor den toten Körpern, vor gefesselten und vermummten Gefangenen, vor brennenden Büchern und vor brennenden Häusern: Nicht erschrocken, sondern stolz auf ihre Taten. Die Barbarei des Krieges zu sehen, zu der jede Aufrüstung ihren Teil beiträgt, ist ein Vermächtnis linker, antimilitaristischer und pazifischer Politik, zu der uns die Geschichte ermahnt.
Die deutsche Sehnsucht nach starken Männern in Uniform, nach Militär und der Stärke ihrer imaginierten Nation hat schon allzu oft Folgen für ganz Europa gezeitigt. Die Zugkraft der rechtspopulitischen Wende mag viele Ursachen haben und eine Bandbreite verschiedener Antworten benötigen: Mehr Soldat:innen bietet aber sicher keine Lösung für irgendeines der Probleme.