Rede zum Neujahrsempfang
Liebe Genoss*innen
es freut mich sehr, euch alle hier begrüßen zu dürfen. Mein Name ist Florian Vogel, ich bin 28 Jahre alt und promoviere an der Universität Konstanz. Seit 2020 bin ich Parteimitglied und seit letztem Sommer aktiv bei den Linken dabei. Vor ein paar Tagen wurde ich gefragt, ob ich eine kleine Eröffnungsrede zu diesem Kreisparteitag halten könnte, zur Frage "Warum linke Politik? Warum sich überhaupt für die Linken engagieren?". Für mich war dieses Thema dann auch ein Anlass darüber nachzudenken, warum ich überhaupt bei den Linken mitmache.
Dazu möchte ich euch eine kleine Anekdote vom letzten Samstag erzählen, als ich einen Freund in Wiesbaden besucht habe. In der Straßenbahn saßen wir neben zwei Jugendlichen, oder eher Kindern. Ich habe sie auf etwa 12/13 Jahre geschätzt und sie hatten wohl einen Migrationshintergrung. Die beiden haben sich über die schlecht laufende Energie- und Mobilitätswende unterhalten und festgestellt, dass die Elektrifizierung viel zu langsam vorangeht. Wir haben sie angesprochen und gefragt, was sie denn damit genau meinen. Nachdem sie ihren Standpunkt ausgeführt hatten, schlossen sie resigniert mit: "Niemand ist ja an einer Veränderung interessiert. Vielleicht die Grünen, aber die würden wir ja auch nie wählen." Auf meine Nachfrage, wen sie denn wählen würden, war die Antwort: die "AfD".
Bei ihrem auch emotionalen Interesse an einer progressiven Klimapolitik war ich darüber sehr überrascht und ehrlich gesagt auch entsetzt. Wir haben dann einfach versucht nachzufragen, woher denn diese Haltung kommt und, warum sie den nicht-rechtsextremen Parteien so ablehnen. Die Antwort waren die bekannten Narrative: Fortschritt bei der Rettung des Planeten sei eh nicht möglich oder wir sollten keine Ausländer unterstützen, wenn es der eigenen Bevölkerung schlecht geht. Es sind genau diese Narrative, diese Tendenz des Nach-unten-Tretens, die Resignation bei globalen und lokalen Problemen, weshalb ich persönlich beschlossen habe, zu den Linken zu gehen. Ja, es gibt große Herausforderungen. Aber wir können diese auch klar benennen und wir können auch einen Unterschied machen.
Es gilt: Nicht Zuziehende bedrohen die Existenz von Menschen, sondern unser System selbst. Insgesamt besitzen die wohlhabendsten zehn Prozent der Haushalte zusammen etwa 60 Prozent des Gesamtvermögens in Deutschland. Die unteren 20 Prozent besitzen gar kein Vermögen. Fast jeder 10. aller Haushalte ist verschuldet. Dies ist das zugrundeliegende Problem. Auch in Konstanz! Die Mieten steigen unaufhörlich weiter. Neubauten sind hauptsächlich teure Loftwohnungen mit Seeblick, während gleichzeitig junge Menschen oder Vermögenslose um ein beschränktes Angebot von kaum bezahlbaren, aber oft heruntergekommenen, Wohnungen konkurrieren. Gegen diese Ungerechtigkeit und nicht gegen Migrant*innen gilt es vorzugehen. Dafür setzen wir uns als Linke Konstanz seit Jahren ein.
Ein anderes Beispiel ist der Klimawandel. Wir können dieses Problem nicht weiter ignorieren, nur weil es schwer ist, eine gute, nachhaltige Lösung zu finden und weil die Transformation anstrengend wird. Wir, als Linke, treten für die ökologische Wende ein. Dabei übersehen wir aber nicht, dass das Klimaproblem auch ein soziales Problem ist! Diejenigen, die ohnehin schon zu den sozial Schwachen gehören, sind von den Folgen des Klimawandels besonders hart betroffen und es kann nicht sein, dass sie nun auch noch durch pro-Klima-Maßnahmen eingeschränkt werden. Allein die Aussicht darauf ist Wasser auf den Mühlen der AfD. Ein absurdes, aber leider aktuelles Beispiel: ÖPNV hier in Konstanz wird teurer, bei gleichzeitigem schlechterem Angebot. Eine solche konstanzerische Verkehrswende ist eine Frechheit! Wir, die Linke, zeichnen uns auch hier durch unsere soziale, progressive Programmatik aus.
Die AfD, auf der anderen Seite, hat überhaupt keine sinnvollen Antworten auf diese und andere gesellschaftliche Probleme. Ihre sogenannten Lösungsvorschläge sind rein populistischer Natur und verkennen absichtlich die zugrundeliegenden Missstände. Auch deshalb, aber vor allem wegen ihrer in letzter Zeit nochmals deutlicher gewordene völkische und faschistische Ausrichtung, freuen wir uns alle sehr über das breite Bündnis gegen diese Rechtsextremen. Es ist an dieser Stelle aber auch wichtig zu fragen, woher das aktuelle Umfragehoch der AfD kommt. Die aktuelle Politik und das Verhalten beziehungsweise die Aussagen wichtiger Politiker gibt der rechtsextremen Bewegung Auftrieb. Klimakatastrophe, Wohnungsmangel, Inflation, Kriege oder die vergangene Covid-Pandemie haben soziale Ungerechtigkeiten und Klassenprobleme zwar deutlich gemacht, werden aber in ihrer Bedeutung oft hinter wirtschaftlichen Interessen zurückgestellt. Ein paar Beispiele: Das Bürgergeld ist faktisch nur eine Umbenennung von Hartz IV. Das Klimageld wurde abgesagt. Es gab drastische Kürzungen im Bundeshaushalt bei gleichzeitiger Zurückhaltung bei der Besteuerung von Superreichen und Unternehmen.. Das alles steht symptomatisch für den falschen Spin in der aktuellen Politik. Auch die wiederkehrenden Reden von "konsequentem Abschieben ", Gesetzesvorschläge wie das “Rückführungsverbesserungsgesetz” oder, die von den so genannten bürgerlichen Parteien, angeregte Debatte um die Einschränkung des Asylrechts bereiten auch einen fruchtbaren Boden für die AfD.
Um damit auf die eingehende Frage zurückzukommen: "Warum braucht es die Linken?" Genau wegen all den oben aufgezählten Gründen. Es braucht die Linke, weil wir die einzige Partei sind, die konsequent für eine solidarische, menschenzentrierte Politik einsteht. Um ehrlich zu sein, es steht um uns gerade nicht gut. Die Wagenknecht-Spaltung hat unserer ohnehin schon schwach dastehenden Partei erst einmal mitglieder-
und stimmensmäßig weiter geschadet. Aber das kann auch eine Chance sein. Auch für eine Neuausrichtung. Viele Menschen bekunden wieder ihre Unterstützung für die Linke und wir haben auch neue Eintritte von aktiven, sich engagierenden Mitgliedern. Bundesweit haben wir seit der Wagenknecht-Spaltung bis Jahresende immerhin schon mehr 2000 Leute in die Partei eintreten sehen, bei zeitgleichen 838 Austritten. Der Blick ist jetzt nach vorne gerichtet. Gerade auf kommunaler Ebene. Wir müssen uns daran erinnern, dass wir die soziale und progressive Alternative sind. Die Probleme und Bedürfnisse von Menschen, aller Menschen, dürfen nicht weiter marginalisiert oder hinter wirtschaftlichen Interessen zurückgestellt werden. Es braucht uns, damit jemand für Menschlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle eintritt. Es braucht uns, denn die aktuelle Situation zeigt, andere werden es nicht für uns machen.