Warum Armut krank macht – und die Ansätze einer solidarischen Hilfe

Was ist der Zusammenhang von Armut und Gesundheit? Steht nicht jeder Person in einem so reichen Land wie Deutschland eine grundsätzliche medizinische Versorgung zur Verfügung? Sind nicht alle Menschen in diesem Land so mit Ressourcen ausgestattet, dass sie sich einen gesunden Lebensstil leisten können? In Zeiten, in denen die Hetze und Häme gegen „die da unten“ immer mehr an Fahrt gewinnt, ist es wichtig, Stimmen wie jene Gerhard Traberts zu hören, der sich in Wort und Tat für von Armut und Ausgrenzung betroffene Menschen einsetzt. Er war zu Gast beim Sommerfest, das die Linke im Kreis Konstanz und die Linke Liste Konstanz im Treffpunkt Petershausen ausrichteten.

Im Zentrum linker politischer Arbeit steht der Mensch, und auch konkrete Hilfe: Es geht darum, auf die Menschen zuzugehen, sie in ihren Quartieren und Lebenssituationen aufzusuchen und ihnen dabei mit Respekt und auf Augenhöhe zu begegnen. Gerade dieser Respekt ist es, der zunehmend in der gesellschaftlichen und politischen Debatte verloren geht: Menschen suchen sich ihre Biografien nicht aus, niemand will in Armut leben. Hilfe heißt hier: Neben Unterstützung Hilfe zur Selbsthilfe. Betroffenen eben den Mut zu machen, auf ihre Fähigkeiten zu vertrauen und ihre Talente zu nutzen, ihren Interessen nachzugehen und Begabungen zu erkennen: Das ist der Ansatz einer konstruktiven Sozialarbeit, die Menschen langfristig hilft. Existenzieller Druck, Abwertung und Verunsicherung befördern nur die Spirale der Demotivation.

Wir waren bereits beim Respekt: Die Debatten um die sogenannten Totalverweigerer ist eine Nebelkerze, die ein marginales Problem aufbläst und eine Diffamierungskampagne auf eine ganze, heterogene Gruppe von Menschen überträgt. Menschen, die erwerbslos oder einkommensarm sind, wird so aber nicht geholfen. Die Ausgrenzung und Entwürdigung fängt eben schon bei den Worten an, die wir wählen, wie wir mit und über Menschen kommunizieren. So wird ein Klima der Angst und Verunsicherung geschürt, was nur dazu dient, sozialchauvinistische Abwehrreaktionen zu fördern.

In den Debatten, die wir führen, bedarf es keiner populistischen Zerrbilder, sondern Fakten, die schon aufrüttelnd genug sind. So liegen die Gründe von Armut nicht an einem schlechten Charakter, Prunksucht oder ähnlichem, sondern schlicht an Faktoren wie Erwerbslosigkeit oder Krankheit, wobei in der Bundesrepublik mittlerweile Krankheit der Hauptgrund ist – was schon ein Skandal für sich ist. Diese Umstände haben ihre Ursache ebenso wenig in individuellen „Fehlern“ wie Weiblichkeit, migrantische Herkünfte oder das Alleinerziehen, die ebenfalls Armut begünstigen.

Es sind die gesellschaftlichen Strukturen, die diese Armut produzieren und verfestigen. Jedes fünfte Kind wächst in diesem Land in Armut auf: Das ist kein Bauchgefühl, sondern ein Fakt, den zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband beständig anmahnt und auf politische Initiativen drängt. Die minimale Erhöhung des Kindesgeldes, die die wirklich Betroffenen eben nicht erreicht – wird das Kindergeld doch angerechnet –, ist im Mindesten so enttäuschend wie das Implodieren des Projektes „Kindergrundsicherung“.  Andere Studien besagen, dass sich Kinder und Jugendliche von dem im Bürgergeld angesetzten Betrag von 3,50 Euro pro Tag schlicht nicht gesund ernähren können. Ein Blick auf die Preise von Obst und Gemüse legt diese Erkenntnis durchaus nahe. Wenn nun Regierung sparen will, indem sie die Regelsätze des Bürgergeldes nicht anheben und die Leistungen für Asylbewerber:innen, die eh schon niedriger sind als das ExistenzMINIMUM, sogar noch senken will, dann zwingt sie Menschen in die Nahrungsarmut. Menschen können sich keine guten Lebensmittel leisten, was wiederum Folgen für ihre Gesundheit hat. Ein Teufelskreis, der umso perfider ist, als dass dann die Gesellschaft den von Armut betroffenen Menschen wieder Vorwürfe macht, sie hätten ihr Leben nicht im Griff.

Bei diesem staatlichen Versagen setzt soziales Engagement an, welches das Elend nicht mehr ertragen will. Ein Beispiel sind die Tafeln, deren Arbeit einerseits Menschen hilft, mit ihren minimalen Ressourcen zurechtzukommen und nicht zu hungern, die aber andererseits die Misere und das Vorenthalten staatlicher Fürsorge am Laufen hält. In diesem Dilemma steht auch die medizinische Grundversorgung von Menschen, denen diese nicht zur Verfügung steht. Vermutlich ist es im Alltag schwer vorstellbar, wie man aus diesem System herausfallen kann, aber im Einzelfall geht es recht schnell: Krankheit, Arbeitslosigkeit, Schulden, Wohnungslosigkeit… Wenn nun aber freiwillige Helfer diese Grundversorgung übernehmen und den Menschen helfen, entbinden sie gleichzeitig den Staat aus seiner Verantwortung, der gleichzeitig die Würde des Menschen in den ersten Rang seiner Verfassung gestellt haben will. Helfen muss man trotzdem, und Nahrung verteilen auch. Wichtig ist es, die fehlerhaften Strukturen nicht aus dem Blick zu verlieren und anzugehen, die die Ursache für den Hunger und die fehlende Gesundheitsversorgung sind.

Eine Möglichkeit wäre, endlich eine Krankenversicherung für alle zu beschließen, die niemanden außen vor lässt. Schluss mit der Zweiklassenversorgung: Ein Satz, den vielen Menschen unterschreiben können sollten, die auf der Suche nach einem Termin für eine Fachärztin sind. In einem Staat in der Mitte Europas, in dem Armut immer noch dazu führt, dass die Betroffenen statistisch früher sterben, ist die Ausweitung der Gesundheitsversorgung schlicht geboten. Und entgegen der Skepsis für Fragen der Finanzierung: Wenn wir uns allein die Zahlen von Erbschaften und Schenkungen in Baden-Württemberg im letzten Jahr anschauen, dann können wir gewiss sein, am Geld kann es nicht liegen –  sondern an unserem Steuersystem, das Reichtum belohnt und über die Generationen fixiert.

Hier ist nicht der Platz, um all den Vorurteilen und Zerrbildern gebührend zu begegnen, mit denen erwerbslose Menschen oder Migrant:innen alltäglich konfrontiert sind. Allein die Quote der sozialsteuerpflichtigen Erwerbstätigkeit unter jenen Menschen, die im Symboljahr „2015“ nach Deutschland kamen, führt viele Diskussionen ad absurdum. Nein, diese Menschen nutzen keine Sozialsysteme aus, sie stabilisieren diese. Von allen Geflüchteten, die 2015 ankamen, sind heute 65 % in Arbeit, bei den Männern sind es sogar  über 80 %. Dem Rechtsruck, der die medialen Debatten und die Politik bishin zu Grünen antreibt, ist dies aber egal. Wir sollten diesen Entwicklungen mit einer faktenbasierten Kommunikation, mit Empathie und einem offenen Zugehen auf die Betroffenen und nicht zuletzt mit einem Drängen auf die Veränderung der ursächlichen Strukturen begegnen, so das Plädoyer von Gerhard Trabert.