Wo bleibt der Widerspruch? Das Stadtbild als Symptom der Ignoranz

„Fakt ist: Der Bundeskanzler verwendet nicht nur eine Wortwahl, die deutliche und unabstreitbare Parallelen zu Passagen aus Goebbels Tagebuch aufweist.\[1\] Nein, er verknüpft „Probleme“ im Stadtbild mit Migration: Was soll denn noch passieren, dass wir laut und eindeutig als Gesellschaft ein offensichtlich rassistisches Narrativ zurückweisen?“ Alle Versuche, die Aussagen des Bundeskanzlers zu relativieren, vergrößern das Problem nach Ansicht von Lars Hofmann, Direktkandidat für Konstanz, nur noch mehr. „Rassismus gehört nicht schön gelogen oder naiv ignoriert: Wir wissen doch, was die Folgen sein können.“

„Nur ganz vereinzelt haben Medien die rassistische Qualität der Aussagen von Merz klar benannt. Im Regelfall suchten sie händeringend Ausreden für etwas, das gerade im Angesicht der deutschen Geschichte nie wieder Ausreden zulassen darf.“ Wenn es ein politisches System, eine Gesellschaft und eine Medienlandschaft nicht mehr schafften, dies auch nur zu benennen, dann stünden wir an einem Scheideweg. „All die Worte an Gedenktagen sind dann nur leere Hülsen, hinter denen keine Überzeugung steht. Nein, der Rassismus ist akzeptierter Teil der deutschen Öffentlichkeit: Im Fahrwasser der Erfolge der AFD muss er sich offenkundig auch nicht mehr verstecken.“ Dieser Rechtsruck müsse endlich benannt und ihm entschieden begegnet werden.

Auf die Medien können wir uns in diesem Fall nicht verlassen: Der Südkurier, der für seine redaktionelle Arbeit bereits mehrfach ausgezeichnet wurde, stellte in seiner Ausgabe vom 25. Oktober einen direkten Zusammenhang zwischen einer Umfrage des ZDF-Politbarometers und den Aussagen von Friedrich Merz her. Er legt dabei eine vermeintlich mehrheitliche Zustimmung zur Stadtbildthese nahe – und suggeriert zugleich, Migration sei deren Ursache. Nur hatte das ZDF selbst einen Tag zuvor eingeräumt, dass dieser Schluss einfach falsch und unterkomplex ist, und die Umfrage auf einen anderen Sachverhalt abhob.[2]

Schon die Frage war lenkend, da sie implizierte, es ginge um Menschen, die sich nicht „an unsere Regeln hielten“. Die Stadtbild-Aussage von Merz bezog sich aber offenkundig auf xenophobe Stereotype, die in dieser Frage nicht aufgegriffen werden – auf eine äußere Wahrnehmung des Stadtbilds und die Markierung des nicht hinzupassenden Anderen, hier die Migrant:innen. Im Südkurier wird die gefühlte Unsicherheit an öffentlichen Plätzen mit diesem Thema verknüpft, und damit wiederum die Migration als ursächlich definiert. Hofmann fasst es so zusammen: „Die Kommunikation des ZDF und all die Zeitungsredaktionen haben hier ihren Beitrag zur weiteren Spaltung der Gesellschaft und der Verfestigung rechts-populistischer Narrative geleistet.“

Und so nimmt es sich nicht wunder, dass sich Andreas Jung und Lina Seitzl nicht schützend vor die migrantische Bevölkerung stellen, sondern teils entschuldigen und teils schweigen. Jung will die Aussage auf die Haltung und das Handeln bezogen wissen: Menschen mit der falschen Haltung passen demnach nicht in dieses Land undmüssen Jung zufolge weg - nicht umsonst sind es ja Rückführungen, durch die Merz das "Stadtbild"-"Problem" lösen zu lösen gedenkt und die Jung dezidiert nicht kritisiert. Welche Art der Gesinnungsprüfung schwebt dem Christkdemokraten denn vor? Und: Wer soll sie prüfen? Verbreitet er nicht ebenso Angst, denn wer kann sich vor Vorwürfen einer vermeintlichen falschen Haltung schützen? „Migrant:innen werden durch diese Aussage weiter in Abseits gedrängt, und zwar einfach aufgrund ihres Aussehens. Das ist Deutschland 2025. Wir haben weniger Probleme mit dem Stadtbild als mit dem tiefsitzenden Rassismus und dem Fehlen einer wehrhaften Gesellschaft.“


Die deutsche Gesellschaft, ihre Politik und Medien müssen die Pluralität dieses Landes endlich anerkennen statt sie zu negieren. Dieses Wir ist bunt, vielschichtig und facettenreich. Nur wenn wir von diesem simplen Fakt ausgehen, können die bestehenden Probleme in ihrer Tiefe erfasst und wirksam angegangen werden. Lars Hofmann fordert zum Schluss: "Das Bekenntnis zum Antirassismus darf keine Sonntagsrede sein: Wir müssen es täglich leben. Und der Anfang muss die klare Kritik an den rassistischen Attitüden des Bundeskanzlers sein. Das ist die einzig wichtige Haltung!" 

 

 


[1] „Es ist empörend und ein Skandal, daß in der Hauptstadt des Deutschen Reiches sich 70000 Juden, zum größten Teil als Para- siten, herumtreiben können. Sie verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.“ (Broszat, Martin: Hitler und die Genesis der „Endlösung". Aus Anlaß der Thesen von David Irving, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 1977, H. 4, S. 739-775, hier: S. 750. (Beiträge aus dem Institut für Zeitgeschichte)) Dagegen die Aussage von Merz: „„Bei der Migration sind wir sehr weit. Wir haben in dieser Bundesregierung die Zahlen August 24/August 25 im Vergleich um 60 Prozent nach unten gebracht. Aber wir haben natürlich immer im Stadtbild noch dieses Problem. Und deswegen ist der Bundesinnenminister ja auch dabei, jetzt in sehr großem Umfang auch Rückführungen zu ermöglichen und durchzuführen.““

[2] „Bundeskanzler Friedrich Merz hat davon gesprochen, dass es in Deutschland Probleme im Stadtbild gibt. Konkret benannt hat Merz jetzt, dass es Probleme mit denjenigen gibt, die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, nicht arbeiten und sich nicht an unsere Regeln halten.“ (https://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/Politbarometer/FraboPB_KW43_2025_1.pdf)