In Gedenken an Lorenz: Stoppt endlich die rassistische Polizeigewalt!

Hier die Rede von Lars zur Demo vom 17.05.2025

Liebe Genossinnen, liebe Mitstreiterinnen,

mein Name ist Lars, ich spreche heute für DIE LINKE Konstanz.

In dieser Rede werden Themen wie Polizeigewalt, Rassismus, Mord, Tod in Gewahrsam und rechtsextreme Gewalt behandelt.
Einige Schilderungen beinhalten explizite Beschreibungen von Gewalt und Entmenschlichung. Bitte achtet auf euch – nehmt euch Raum, wenn ihr ihn braucht.

Ich möchte meine Rede mit einem sehr persönlichen Erlebnis beginnen. Ein Erlebnis, das mich tief geprägt hat – und mein Verhältnis zur Polizei bis heute bestimmt.

2006 – ein Jahr, das ich nie vergessen werde:

Ich war minderjährig, als ich zum ersten Mal festgenommen wurde – ohne Beisein meiner Eltern, ohne rechtlichen Beistand wurde ich erkennungsdienstlich behandelt, fotografiert, Fingerabdrücke genommen – und sogar gezwungen, mich vollständig zu entkleiden.
Diese Erniedrigung war kaum in Worte zu fassen – ich fühlte mich entmenschlicht und hilflos, ganz auf die Willkür der Polizisten angewiesen.

Ich wurde stundenlang festgehalten, während immer wieder Druck auf mich ausgeübt wurde, ein Geständnis abzulegen. Es war klar, dass man mich brechen wollte, um schnell ein „Ergebnis“ zu erzielen. Der psychische Druck war enorm.

Erst viel später wurde meine Mutter informiert. Als sie mich endlich abholte, wurde ich auf Socken nach Hause geschickt – meine Schuhe hatte man mir abgenommen. Geld für neue hatte ich nicht. Ich musste mir welche von Freund*innen leihen. Ein Moment, der mir die Machtlosigkeit deutlich machte, die viele Jugendliche in solchen Situationen erfahren.

Und doch: So schlimm diese Erfahrung für mich war – im Vergleich zu dem, was viele andere erleben mussten, war sie fast harmlos.
Was jetzt folgt, sind Geschichten von Misshandlungen, von Mord, von systemischer Gewalt. Geschichten, die zeigen, dass es nicht bei Einzelfällen bleibt – sondern um ein strukturelles Problem geht.


Ein Jahr zuvor, 2005:

Ich wurde erstmals mit einem Namen konfrontiert, den ich nie wieder vergessen werde: Oury Jalloh. Ein Geflüchteter aus Sierra Leone, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte – an Händen und Füßen gefesselt.

Doch bevor er in diesem Raum verbrannte, wurde Oury Jalloh brutal misshandelt. Eine Obduktion stellte mehrere Knochenbrüche fest, unter anderem im Nasenbein, im Brustkorb und am Schädel. Später wies ein unabhängiges Gutachten nach, dass Brandbeschleuniger im Spiel gewesen sein muss, um das massive Feuer in dieser Form überhaupt zu entfachen. Alles deutet darauf hin, dass Oury Jalloh nicht sich selbst angezündet hat – sondern angezündet wurde.

Trotz dieser Beweise wurde jahrelang die offizielle Version einer "Selbstverbrennung" aufrechterhalten. Beweismittel verschwanden, Akten wurden manipuliert, Gutachten ignoriert. Es war keine bloße Fahrlässigkeit – es war aktive Vertuschung.

Bis heute ist der Tod nicht wirklich aufgeklärt. Doch alles, was wir wissen, lässt nur einen Schluss zu:
Oury Jalloh, das war Mord.

Dieser Fall war ein Wendepunkt. Ein Moment, in dem die Frage lauter wurde als je zuvor: Wer schützt uns eigentlich vor der Polizei, wenn die Polizei versagt?

Ebenfalls 2005, in Frankreich: Zyed Benna (17) und Bouna Traoré (15) starben, als sie fälschlicherweise von der Polizei verfolgt wurden.
In ihrer Panik versteckten sie sich in einem Transformatorenhäuschen und wurden von einem Stromschlag getötet. Die darauffolgenden Aufstände waren kein Zufall, sondern Ausdruck systematischer Ausgrenzung, rassistischer Polizeigewalt und Perspektivlosigkeit. Eine Wut, die ich verstehen konnte.

2011 wurde der sogenannte NSU enttarnt – eine rechtsterroristische Mordserie. Zehn Menschen wurden getötet, neun davon hatten eine Migrationsgeschichte. Und was tat die Polizei? Jahrelang ermittelte sie im Umfeld der Opfer, kriminalisierte Angehörige, ignorierte Hinweise auf die rechte Szene. Das war nicht einfach „Versagen“. Das war institutioneller Rassismus. Die Polizei schützte die Täter – nicht die Opfer. Bis heute keine echte Aufklärung. Keine Konsequenzen.

2012: Zwei aktive Polizisten in Baden-Württemberg waren Mitglieder im Ku-Klux-Klan. Ja, bei einer rassistischen Terrororganisation.
Die Konsequenz? Eine interne Rüge. Kein Rauswurf. Kein öffentlicher Skandal. Und besonders brisant: Diese Beamten hatten Kontakt zur 2007 vom NSU ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter. Der Staat wusste – und schwieg.


2017, beim G20-Gipfel in Hamburg, zeigte die Polizei der ganzen Welt, wozu sie fähig ist, wenn sie keine Konsequenzen fürchten muss. Es waren Tage, in denen Prügelorgien auf offener Straße stattfanden, rechtswidrige Kessel Menschen stundenlang ihrer Freiheit beraubten, Massenüberwachung durchgeführt wurde, Journalist*innen eingeschüchtert wurden. Der sogenannte Rechtsstaat? Ausgesetzt – im Namen der „Sicherheit“.

2020 – Hanau: Ein rechtsextremer Täter ermordet neun Menschen – wieder Menschen mit Migrationsgeschichte. Wieder: Behördenversagen auf ganzer Linie. Verschlossene Notausgänge. Überlastete Notrufe. Keine Schutzkonzepte. Der Vater des Täters? Noch heute im Besitz legaler Waffen.

Und dann die Chatgruppen in Polizeibehörden: Nazi-Memes, Hakenkreuze, Hitlergrüße, Gewaltfantasien, rassistische Hetze.
Was passiert? Disziplinarverfahren. Die meisten eingestellt. Das ist kein Einzelfall, kein Ausrutscher. Das ist struktureller Rassismus, gedeckt durch Korpsgeist und Schweigen von oben.

Heute – in der Gegenwart angekommen – versammeln wir uns hier, weil wir nicht mehr schweigen können. Weil wir nicht mehr zusehen wollen.

Lorenz A. wurde am Ostersonntag 2025 in der Oldenburger Innenstadt von einem Polizisten erschossen. Drei Schüsse in den Rücken. Er war 21 Jahre alt. Schwarz. Unbewaffnet. Die Bodycam? Wieder ausgeschaltet. Zehntausende protestierten bundesweit. Doch wieder: Kein Vertrauen in die Aufklärung. Kein transparenter Umgang. Kein politisches Handeln.

20 Jahre nach dem Tod von Oury Jalloh ist klar: Es hat sich nichts geändert. Schwarze Menschen sterben in Polizeigewahrsam. Ihre Angehörigen kämpfen – und werden ignoriert.

Darum sind wir heute hier. Gegen das Vergessen. Gegen das Vertuschen. Für Gerechtigkeit.


Deshalb fordert DIE LINKE:

  • Unabhängige Ermittlungsstellen bei Polizeigewalt
  • Kennzeichnungspflicht für alle Einsatzkräfte
  • Verbot von Racial Profiling
  • Abrüstung der Polizei – keine Taser, keine Panzerfahrzeuge
  • Demokratische Kontrolle der Sicherheitsbehörden
  • Entnazifizierung statt Wegschauen
  • Mehr soziale Arbeit statt Repression

Denn: Polizei darf keine Macht ohne Kontrolle sein.

Heute sind wir hier,
weil wir nicht mehr bereit sind, in einem Staat zu leben, der wegschaut, wenn Polizist*innen töten.
Weil wir nicht akzeptieren, dass Menschen entrechtet, erniedrigt, erschossen werden – und niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wird.
Weil jedes dieser Opfer ein Name, ein Gesicht, eine Geschichte ist – und keine Statistik.

Wir sagen: Keine Gerechtigkeit – kein Frieden.
Wir sagen: Die Straße gehört uns – nicht der Staatsgewalt.
Wir sagen: Wir vergessen nicht – wir vergeben nicht.

Und wir wissen:
Der Kampf gegen Polizeigewalt ist auch ein Kampf gegen Rassismus, gegen Klassismus, gegen autoritäre Strukturen.
Es ist ein Kampf um Würde. Um Leben. Um Wahrheit. Um Gerechtigkeit.

Für Lorenz A.
Für Oury Jalloh.
Für alle, die nicht mehr sprechen können, weil Polizeigewalt ihnen das Leben nahm.

Aber wir werden ihre Namen rufen.
Laut. Immer wieder.
Solange, bis dieser Staat sich bewegt.
Solange, bis sich endlich etwas ändert.

Denn eines ist klar:
Gerechtigkeit fällt nicht vom Himmel – wir müssen sie erkämpfen. Gemeinsam.

Danke.