Im Westen nichts Neues
Die Vorstandstreffen von Rheinmetall in den letzten drei Jahren muss man sich als ein durchgehendes rauschendes Fest vorstellen. Millionen und Milliarden Euro ist die deutsche Politik gewillt, in massive Aufrüstung zu stecken, in Kriegskredite. Fast alle Parteien, ob rechts oder linksliberal, ob konservativ oder progressiv, stimmen in diesem Chor überein. Einzig eine leise, aber doch vernehmbare Dissonanz von weit links der Mitte stört die Harmonie.[1]
Neben den Unmengen an Material zur kriegerischen Verteidigung braucht es auch Menschen, die bereit und willens sind, imaginäre Grenzen und schon längst und immer wieder verratene Werte der westlichen Welt zu verteidigen oder über den Globus zu streuen. [2] Die Kriegsbereitschaft muss in die Köpfe der jungen Menschen: Schon längst ist die Bundeswehr wieder in den Schulen und Universitäten willkommen. Camouflagefarbene Werbung darf im Rausch der Wehrfähigkeit wieder von Litfaßsäulen prangen. Unsere Medien sind der letzte Baustein dieser Zeitenwende in Richtung Remilitarisierung. Das Narrativ des nun wehrbereiten Ex-Kriegsdienstverweigerers ist mittlerweile Allgemeingut. Kein Wort der Skepsis, kein Wort der Kritik, keine Alternative: Die Reihen stehen geschlossen.
Man kann den massiven Investitionen in Rüstung natürlich auch etwas Gutes abgewinnen: Die deutsche Industrie kann durch die Geldschwemme aus der Rezession geholt werden – der letzte Rettungshalm einer sterbenden, unflexiblen Wirtschaft. Zugleich wird dieser Effekt aber verpuffen, weil Waffen und Rüstung eben kein mittel- und langfristiger Gewinn sind – weder für Volkswirtschaften noch für Bevölkerungen. Anders formuliert wird so eben nicht die dringend notwendige sozial-ökologische Wende angestoßen, sondern eher alte Industriezweige vor ihrem Abgleiten in die Bedeutungslosigkeit bewahrt. Schon macht sich die Autoindustrie bereit, statt PKWs Panzer zu produzieren – um das Desaster der verschlafenen technologischen Innovation auszugleichen, nimmt die deutsche Industrie einen alten Pfad wieder auf. Doch Waffen kosten einfach nur Geld und sind nur im Krieg zu etwas nütze. Man kann sie nicht essen, noch in ihnen wohnen. Sie pflegen weder unsere Angehörigen, noch bildeen sie unsere Kinder aus. Was machen wir mit all den Panzern, Drohnen und Bomben? Sie dienen zu keinem Zweck, außer dem, bestenfalls rumzustehen oder rumzuliegen - schlimmstenfalls zu zerstören und zu töten.
Selbst Kasernen müssen erst wieder gebaut werden, und dann müssen Menschen gefunden werden, die Lust haben, die besten Jahre ihres Lebens in ihnen damit zu verbringen, das Töten anderer zu lernen. Und neben Sinnlosigkeiten erwarten die jungen Menschen in den Kasernen Beschimpfungen, Diffamierungen und Übergriffe – nicht umsonst brechen so viele ihren freiwilligen Dienst ab.[3] Trotz des Ukraine-Kriegs und der massiven Kampagnen gab es keine Eintrittswellen in die Bundeswehr. The kids are alright, möchte man sagen. Die Heroisierung des gerechten Krieges kann in diesem Land vollkommen zurecht so leicht nicht Fuß fassen. Folglich braucht es wieder Zwang: Auch wenn eine Grundausbildung eben nicht die spezialisierten Kräfte hervorbringt, die eine moderne Landesverteidigung braucht, wird das alte Bild eines Volks in Waffen gemalt, das Aggressor:innen aller Welt abschreckt. Eine Wehrpflicht soll nach dem Willen all jener her, die nicht mehr auf das Schlachtfeld, das Feld des Schlachtens und Blutens, müssen. Forderten wir vormals leichten Herzens, die Ukrainer:innen sollen doch für unsere Freiheit sterben, ist es nun die junge Generation, die die alten Herren und Damen dafür auserkoren haben, ihr Blut für ihre Freiheit und ihren saturierten Wohlstand zu geben. Ihr Blut und ihr Geld: Der erteilte Blankoscheck für Aufrüstung macht eine endlose Verschuldung möglich. Bezahlen müssen immer die anderen…
Als Linke sehen wir diese Remilitarisierung mit Schrecken, und Wut: In einem Deutschland, das trotz eines massiven Rechtsrucks die soziale Verelendung, die Kürzung des Sozialstaats und die Diffamierung der Schwächsten – egal ob Migrannt:innen oder Bürgergeldempfänger:innen – vorantreibt, kann die Hero- und Idealisierung des Militärs verheerende Folgen haben. Die Geschichte mahnt gerade uns zur Vorsicht. Nicht nur wird die wirtschaftliche Schieflage voranschreiten, Merz wird auch versuchen, sein angekratztes Image als Rechtskonservativer an den Schwächsten, den Prekären und Abgehängten zu profilieren. Wer noch an das sozialpolitische Korrektiv einer SPD glauben will, der hat die letzten Dekaden verschlafen.
Aber auch im gesellschaftlichen Klima ändern sich die Zeiten. Die Wende zeigt sich zum Beispiel an der Verklärung des Romans von Remarque nach seiner Auszeichnung: Wie Steinmeier in dem verfilmten Romanstoff den Heros der ukrainischen Verteidigung zu finden vermag, bleibt ein ewiges Rätsel.[4] Und es ist schlicht falsch – die Idee, eine Seite wäre im Krieg die Gute, die andere die Böse, ist Teil des Problems. Das Sterben im Krieg bleibt sinnlos: Aller romantisierenden nationalen Begeisterung zum Trotz werden durch Kriege weder Sicherheit, noch Ehre oder Ruhm gefunden, sondern nur Elend und Tod. Nie wieder Krieg heißt eben auch, nie wieder Aufrüstung.
Die Apologeten der Aufrüstung kennen keine Alternative als die Abschreckung. Gefangen in der Logik des eigentlichen überwundenen Kalten Krieges ist die Androhung der gegenseigen Vernichtung der einzig verbliebene Garant der Sicherheit. Das Verrückte an der Logik der Abschreckung ist, dass sie offensichtlich maximal dysfunktional ist: Die Aufrüstung der einen Seite versteht die andere als Bedrohung, auf die sie wieder mit Aufrüstung reagieren muss. Dieses Spiel schafft keine Sicherheit, sondern frisst nur Ressourcen, die für andere Sachen weit wichtiger wären.
Andere Ansätze als Abschreckung sind nicht mehr denkbar: Die Stärkung internationaler Strukturen, die unbedingte Gültigkeit des Völkerrechts, der Raum der Diplomatie - alles Ideen von gestern. Eine Welt in Schockstarre, in der sich alle Beteiligten mit der kompletten gegenseitigen Auslöschung terrorisieren, ist die letzte Konsequenz einer solchen Außenpolitik. Als Linke kritisieren wir die Logik der Aufrüstung und die Schwächung von internationaler Strukturen zur Konflikteinhegung. Das Recht des Stärkeren darf nicht zum Prinzip der Außen- und Sicherheitspolitik werden - selbst wenn wir glaubten, dass der Stärkere tatsächlich im Recht wäre oder seine Motive lauter.
[1] FDP und AFD sind zwar für die Aufrüstung, sind aber mit dem Wie unzufrieden und wollen den strikten Kurs der Schuldenbremse beibehalten.
[2] Nationen, Grenzen und Identitäten sind imaginär, nur das Blut nicht, das für ihren vermeintlichen Schutz, ihre Reinheit oder ihre Expansion fällt. So gerechtfertigt der Kampf der Ukraine gegen eine Invasion und die Unterdrückung auch ist: Landesgrenzen bleiben Konstrukte aus dem Geiste der Menschen.
[3] https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-09/personalmangel-bundeswehr-schrumpfen-abbrecher-boris-pistorius
[4] https://www.evangelisch.de/inhalte/213512/14-03-2023/trophaeen-fuer-antikriegsdrama-politiker-wuerdigen-oscars-fuer-im-westen-nichts-neues