Die Brandmauer steht, nur haben manche die Seiten gewechselt

Einem Aufruf von SPD, Grünen und der Linken Konstanz folgend kamen gestern hunderte Menschen in Konstanz zusammen, um ihren Protest am Antrag der CDU und ihren Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen. Ihre Botschaft, die sich auch explizit an die Wahlkreis-Abgeordneten Andreas Jung und Ann-Veruschka Jurisch richtete, war klar: Mit der AFD macht man keine gemeinsame Sache. Die Brandmauer steht, weil wir sie verteidigen.

Es gibt Tage in der Geschichte, die etwas verändern. Der 29.01.2025 könnte so eine Zäsur gewesen sein. Union und FDP haben zusammen mit der AFD Politik gemacht, willentlich und ohne Scham. Viele Menschen in diesem Land sind nun tief verunsichert, Juden und Jüdinnen ebenso wie Muslime und Muslima, Migrant:innen ebenso wie Menschen mit einem Namen, der „irgendwie anders“ klingt. Die Volte der Union hinterlässt schon jetzt seine Spuren, und die berechtigte Sorge besteht, dass dies nur der Anfang einer unsäglichen Entwicklung ist.

Sicher lässt sich streiten, ob sich am Mittwoch tatsächlich etwas geändert hat, oder ob nur eine Verschiebung offensichtlich wurde, die schon lange anhält: Wichtiger ist aber, dass gestern viele Menschen zusammenkamen, um ein Zeichen zu setzen, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. Gegen den Menschenhass, gegen den Rechtsruck, gegen das Vergessen. Eine Mahnwache, zu der Parteien ebenso wie Vereine und einfache Bürger:innen zusammen kamen.

Sie kamen zusammen, um zu mahnen: An die deutsche Geschichte, ihre Irrwege und ihre Barbarei. Vor ein paar Tagen erinnerten wir uns an die Befreiung von Ausschwitz, die sich vor nunmehr achtzig Jahren begab. Keine Worte, keine Bilder oder Geschichten können dem unendlichen Grauen dieser Stätte des Todes Ausdruck verleihen. Was wir dennoch lernen konnten, war der Wunsch und Auftrag, dass Ausschwitz nie wieder sei! Und an dem Tag, an dem der Bundestag an die Schrecken der Shoa erinnerte, nur wenige Stunden nach einer Rede eines der letzten Überlebenden und Zeitzeugen der industriellen Massenmorde, paktieren die Christsozialen und Liberalen offen mit den Kräften, für die Teile der deutschen Geschichte nur ein Vogelschiss sind. Nein, beides geht nicht. Die Normalisierung rechtsradikaler Parteien und ihrer politischen Inhalte steht jeder ernstgemeinten Erinnerungskultur entgegen. Die Toten mahnen uns: Das ist kein leerer Auftrag der deutschen Geschichte. Nie wieder!

Und sie kamen zusammen, um zu protestieren: Der Rechtsruck obwaltet in der Politik, den Medien und der Öffentlichkeit schon eine ganze Weile. Alle lassen wir uns von der AFD treiben, ihren Ängsten und Vorurteilen, und so wächst die Verunsicherung, die Verängstigung und die Ausgrenzung immer weiter: Von den Diffamierungskampagnen gegenüber Bürgergeldempfangenden und Arbeitslosen bis hin zu den unsäglichen Vorwürfen an Migrant:innen. Dieses Gift rechtspopulistischer Stigmatisierungen und Pauschalisierungen ist bis weit in die bürgerliche Mitte vorgedrungen. Die Suche nach vermeintlichen Schuldigen, nach Schmarotzern und Menschen, die aus irgendwelchen Gründen nicht hier her passen, führt immer weiter in eine sich selbst verstärkende Dynamik der Mechanismen von Revanchismus, Chauvinismus und Fremdenfeindlichkeit. Die Saat der Missgunst, der Häme und Verachtung ging langsam auf und nun haben wir ihre erste Blüte vor uns.

Die Abstimmung vorgestern war kein Unfall: Die Union wusste um das Abstimmungsverhalten und hat bewusst mit der AFD gestimmt - und will es heute wieder tun. Auch Andreas Jung und Ann-Veruschka Jurisch tragen diesen Kurs mit. Wenn sich Jung damit verteidigt, dass aus seiner Sicht eine innere Brandmauer noch Bestand hätte, fragt man sich, wen diese Mauer zu schützen vermag. Wenn einmal mit der AFD Mehrheiten für „pragmatische“ Lösungen gesucht und gefunden wurden, was sollte die Union noch hindern, es zu wiederholen, oder mit den Rechtsextremen gar zu koalieren? Die Brandmauer, schon vorher eine Ruine, ist nun vollständig weg. Und Jung und Jurisch waren und sind ein Teil dessen.

Aber es geht nicht nur um die Kooperation mit den Rechtspopulisten, sondern auch um die rechte Politik, die Union und FDP hier zusammen mit der AFD umsetzen. Vor einem Jahr standen Massen in Konstanz, um gegen den Rechtsruck und die Remigrationspläne zu demonstrieren. CDU und FDP waren damals bei den Protesten dabei. Lippenbekenntnisse. Heute stehen diese Parteien für Positionen, die sich kaum von der AFD unterscheiden. Grundlose massive Abschiebungen, Haftlager und die Aushebelung grundlegender Menschenrechte: Nur wenige Punkte einer Politik, die sich noch in einer Mitte wähnt. Sie laden die Schuld verschiedenster Miseren bei den Schwächsten ab, und wollen glauben machen, wenn wir diese bestrafen, geht es uns besser. Das ist nicht nur Quatsch, es ist auch gefährlich und hilft den rechten Narrativen, weiter vorzudringen.

Auch wenn wir in diesen Tagen gemeinsam mit SPD und Grünen auf die Straße gehen, um gegen den Faschismus zu demonstrieren, ist uns klar, dass beide Regierungsparteien ihren Anteil daran haben. Die Stigmatisierungs- und Pauschalisierungskampagnen gegen die Schwächsten dieser Gesellschaft haben sie mitgetragen. Noch heute verteidigt sich die SPD damit, schon jetzt eine rigorose Abschiebepolitik zu betreiben. Und die Grünen betonen auch heute noch ihre Bereitschaft, mit der Union zu koalieren. Sie sollten sich endlich besinnen.

Wir sind der Überzeugung, dass dem Rechtsruck nur mit einer konsequenten Politik sozialer Gerechtigkeit und Solidarität begegnet werden kann. Wir müssen den Menschen die Angst nehmen, vor dem Fall in Armut, vor der Zukunft, vor den Anderen. Das geht nur, indem wir die tatsächlichen Probleme – und davon gibt es wahrlich genug – endlich politisch angehen. Es ist das Gefühl der Ohnmacht und des Kontrollverlustes, die viele Menschen in die Arme der Rechtspopulisten treiben und deren Sündenbock-Politik attraktiv erscheinen lassen. Dagegen hilft einerseits Protest und Zusammenhalt. Aber es ist ebenso notwendig, politisch zu liefern. Rhetorik alleine wird unsere Gesellschaft nicht retten. Wir brauchen soziale Sicherheit für alle, funktionierende Schulen und Infrastruktur, ausfinanzierte Kommunen, eine zukunftssichere Wirtschaft, für die der klimapolitische Wandel eine Chance statt einer Bedrohung ist und Mieten, die man sich leisten kann. Kurz: Wir brauchen eine andere, eine bessere Politik. Wir, als die Linke, stehen dafür bereit!

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Bildquelle: Harald Borges