„ ...das andere Mal als Farce“: Die Kreistags-CDU legt ihren Antrag zur Seenotrettung erneut vor
Man sollte ja denken, dass es eine demokratische – und laut Selbstbezeichnung christliche – Partei, die sich als Wahrerin von Recht und Ordnung stilisiert, irgendwie berühren sollte, wenn ihr die Aufforderung zum Bruch des Völkerrechts vorgeworfen wird. Und tatsächlich hatten optimistischere Geister gedacht, dass die „Zurückstellung“ des Antrags in der Kreistagssitzung im Dezember letzten Jahres der uneingestandenen Erkenntnis entsprungen wäre, sich hier in eine menschliche wie rechtliche Sackgasse manövriert zu haben. Doch wir werden eines besseren belehrt: Ohne auf die zahlreichen, durchaus fundierten Gegenargumente einzugehen, legt die Kreis-CDU ihren Antrag erneut vor – unverändert. Man muss unwillkürlich an das Zitat denken, dass die Geschichte sich wiederholt. Nun sind wir also beim zweiten Aufzug: Der Farce.
Aber der Reihe nach: Seit 2019 unterstützt der Kreis Konstanz die zivile Seenotrettung auf dem Mittelmeer mit jährlich 10.000. Im Rahmen der Haushaltsberatung für 2025 würde über die Fortführung dieser Maßnahme diskutiert. Statt sie aber einfach aus Gründen der Haushaltsdisziplin abzulehnen, legte die Kreis-CDU einen ganz anderen Antrag vor: Sie wollte die weitere finanzielle Förderung – gegebenenfalls sogar „Erhöhung des Zuschusses“ – an die Bedingung knüpfen, „dass die Organisatoren dem Landkreis bestätigen, dass sie die aus Seenot aufgegriffenen Menschen zurück zu ihrem Ursprung/-Abfahrtsort, die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste bringen“.
Darauf hagelte es massiv Kritik, über die nicht nur regionale Medien wie Südkurier, Seemoz und Karla, sondern auch SWR und Süddeutsche Zeitung berichteten. In letzterer bezeichnete er Sea-Eye Vorsitzende Gordon Isler diese Forderung als „krass völkerrechtswidrig“. Nicht einmal die post-faschistische Regierung Italiens stellte derartige Forderungen [2]. Der Jurist Kilian Umbach, Vorstand der Refugee Law Clinic Konstanz, erklärte, dass der Antrag in direktem Widerspruch zum Prinzip der Nicht-Zurückweisung der Genfer Flüchtlingskonvention stehe, das die Zurückweisung in Länder, in denen der Schutz der Menschenrechte nicht gewährleistet seien, verbiete [3]. Als Linke Konstanz verwiesen wir in unserer Pressemitteilung darauf, dass die pauschale Benennung von „Afrika“ hier offenkundig den Versuch darstelle, nicht Libyen beim Namen zu nennen, „dessen Menschenrechtslage jede Abschiebung allein aufgrund eines humanitären Grundminimums verbietet“ [4]. Kreisrätin Zahide Sarikas (SPD) mahnt in der Sitzung, dass der Kreistag damit zu „gesetzwidrige[m] Handeln aufgerufen werden“ solle [5].
Fast eben soviel Gegenwind rief die im Antrag vorgebrachte Behauptung hervor, dass die Seenotrettung die irreguläre Migration und die Schleuserkriminalität befördere. Dass der sogenannte Pull-Effekt wissenschaftlich schlicht nicht belegt ist, dürften inzwischen alle zur Kenntnis genommen haben, die sich mehr als zehn Minuten mit der Sache beschäftigt haben [3, 4, 6]. Kurz: viele Kommentator:innen zeigten sich schlicht fassungslos. Seemoz resümierte, dass in dieser Debatte „manche Beteiligten offenbar ihren moralischen Kompass völlig verloren [hätten]. Aus dem Sicheren Hafen soll nach ihrem Willen der beinahe ebenso sichere Tod werden“ [7]. Wir als Linke Konstanz bezeichneten den Versuch, sich „auf dem Rücken flüchtender Menschen [...] der AFD anzunähern [als] schlicht schäbig“ [4]. Kreisrätin Rosa Buss sah die CDU damit „gefährlich nah an rechtspopulistischen Positionen“ [3], der Sprecherrat der Helferkreise im Landkreis Konstanz erklärte sich das CDU-Vorgehen als „Teil eines kalkulierten Stimmenfangs vor der Bundestagswahl“[8].[1]
Jetzt wissen wir es besser: Nein, es geht der Kreis-CDU nicht um Wahlkampf und Stimmenfang, sie meint es wirklich so. Ohne Not oder erkennbare Strategie legt sie genau denselben Antrag erneut vor. Und auch ohne auf irgendeinen Punkt der Kritik ernsthaft einzugehen. Das einzige, was seitens Bernd Häuslers an Gegenargumentation bekannt wurde, ist ein zweifaches „Ihre Annahme ist falsch“. Es sei falsch, dass der Antrag die Rückführung nach Libyen fordere, da es in Afrika ja auch andere Staaten gebe. Und es sei falsch, dass der sich Antrag eine rechtspopulistischen Rhetorik bediene. Ersteres enthält zwar durchaus eine richtige Erkenntnis: ja auch „Afrika“ besteht aus einzelnen Staaten. Nur steht im Antragstext nun mal, dass die Geflüchteten „zurück zu ihrem Ursprung/-Abfahrtsort, die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste“ gebracht werden sollten und in den dazugehörigen Ausführungen „zu Ihrem Ursprungs-Abfahrtsort, die afrikanische Küste“. In der eigenen Unfähigkeit zu klaren Formulierungen – ist die afrikanische Küste bzw. gegebenenfalls die türkische Küste nun eine Spezifizierung zum Ursprung/-Abfahrtsort oder soll es sich hier um eine Aufzählung handeln? Wohin ist die türkische Küste in den Ausführungen verschwunden und was heißt eigentlich bzw. gegebenenfalls in diesem Fall? – nun den Rettungsweg zu erkennen, doch einfach nur irgendwohin, wo nicht Europa ist gefordert zu haben, statt mit Ursprungs-/Abfahrtort Ursprungs-/Abfahrtort zu meinen, sieht jedenfalls nicht nach einer Klärung des Sachverhalts aus.
Und auch was die rechtspopulistische Rhetorik angeht, kommt man aus dem Vorwurf – angesichts dieses Antrags – wohl kaum raus, indem man ihn einfach zurückweist [vgl. 3].CDU-Kreisvorsitzender Levin Eisenmann, der sich tapfer darum bemüht, ihm Argumente entgegen zu stellen, übersieht in seiner Stellungnahme anscheinend, dass es nicht um die grundsätzliche Frage der Finanzierung der Seenotrettung geht, sondern um die an die Seenotrettenden gestellte Bedingung [9]. Uli Burchhard wiederum sagt in seiner Stellungnahme zwar Vieles und einiges Richtiges. Auf die rechtliche Kritik am CDU-Antrag geht aber auch er nicht ein [10].
Ebensowenig äußert sich zu diesem Punkt im Übrigen die Kreistagsverwaltung, die zur kommenden Sozialausschusssitzung zwar einen alternativen Beschlussvorschlag zum CDU-Antrag vorlegt, in der Erläuterung dazu aber anmerkt, dass die „Frage der Rechtmäßigkeit“ des CDU-Antrags „an dieser Stelle nicht thematisiert werden“ solle [11]. An welcher dann, fragt man sich als Kreisrätin, die dummerweise nicht Jura studiert hat und an einer weiteren Einschätzung zu diesem doch irgendwie fundamental erscheinenden Aspekt der ganzen Sache sehr interessiert wäre. Alle Stellungnahmen, die ich bislang zum rechtlichen Aspekt gelesen habe, werfen große Zweifel an der Rechtskonformität des CDU-Vorschlags auf. Wenn die CDU dazu keine Gegenargumente zu liefern hat, dann frage ich mich, warum wir eigentlich noch weiter über diesen Antrag diskutieren sollen. Und ich frage mich, warum dass der CDU so herzlich egal zu sein scheint. Würde man mir Aufruf zum Völkerrechtsbruch, zur Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention vorwerfen – ich würde schleunigst schauen, was ich dem entgegenzusetzen habe. Dies nicht zu tun, es tut mir leid – erscheint mir populistisch. Denn wie soll denn in politischen Gremien ein ernsthaftes Ringen um das bessere Argument stattfinden, wenn sich die eine Seite der Argumentation entzieht, indem sie auf ernsthafte Vorbehalte nicht eingeht?
Literatur:
[1] Antrag der CDU-Fraktion im Kreistag des Landkreises Konstanz vom 21.11.2024, online als Anlage 1 zu TOP 4 der Sozialausschussitzung vom 07.04.2025, online: kreistag.lrakn.de/buergerinfo/si0057.asp
[2] Marc Beise/ Roland Muschel: „Was die CDU da fordert, ist krass völkerrechtswidrig“, Süddeutsche Zeitung vom 06.12.2024: online: www.sueddeutsche.de/politik/seenotrettung-mittelmeer-cdu-sea-eye-fluechtlinge-li.3161754
[3] Sophie Tichonenko: „Bruch mit dem Völkerrecht?“, Karla, online: karla-magazin.de/politik/bruch-mit-dem-voelkerrecht
[4] Die Linke Kreisverband Konstanz: Ein Dokument der Unmenschlichkeit, 08.12.2024, online: www.die-linke-konstanz.de/start/presse/detail/ein-dokument-der-unmenschlichkeit/
[5] Claudia Wagner: Retten ja, aber bitte wieder zurückbringen: CDU stellt Unterstützung der Seenotrettung in Frage, Südkurier vom 11.12.2024, online: https://www.suedkurier.de/region/kreis-konstanz/kreis-konstanz/retten-ja-aber-bitte-wieder-zurueckbringen-cdu-stellt-unterstuetzung-der-seenotrettung-in-frage;art372432,12257917
[6] Sea-Eye: CDU-Kreistagsfraktion Konstanz fordert Sea-Eye zu rechtswidrigem Handeln auf, Pm vom 09.12.2024, online: https://sea-eye.org/cdu-kreistagsfraktion-konstanz-fordert-sea-eye-zu-rechtswidrigem-handeln-auf/
[7] „O. Pugliese“: Sicherer Tod statt sicherer Hafen?, Seemoz vom 09.12.2024, online: https://www.seemoz.de/sicherer-tod-statt-sicherer-hafen/
[8] Bernhard Grunewald: Presseerklärung des Sprecherrates der Helferkreise im Landkreis Konstanz vom 12.12.2024, online: https://www.fk-asyl-radolfzell.org/index.php/aktuelle-artikel/presseerklarung-des-sprecherrates-der-helferkreise-im-landkreis-konstanz
[9] Eisenmann weist „Rechts-Vorwürfe“ zur geplanten Sea-Eye-Kappung zurück, Wochenblatt vom 15.12.2024, online: www.wochenblatt.net/konstanz/c-nachrichten/eisenmann-weist-rechts-vorwuerfe-zur-geplanten-sea-eye-kappung-zurueck_a143525
[10] Uli Burchardt: „Nichts ist gut in der Seenotrettung und wenig in der Migration“ vom 11.12.2024, online: https://www.seemoz.de/wp-content/uploads/OB-Burchardt-Nichts-ist-gut-in-der-Seenotrettung.pdf.
[11] Drucksache 2025/081: Vorlage zu TOP 4 der Sozialausschussitzung vom 07.04.2025, online: kreistag.lrakn.de/buergerinfo/si0057.asp